Kohlers Visionen

Quereinsteiger, Philosoph und heimlicher König des Tegernsees:

Wie der Hotelier Korbinian Kohler den Spielplatz der Reichen umgekrempelt hat.

 

Paris, Ende der Achtzigerjahre. In der Rue Cambon vor Chanel parkt ein gelber Golf mit Miesbacher Kennzeichen. Ein Student steigt aus und betritt die Boutique – er möchte aber nichts kaufen, sondern etwas verkaufen: Papiertragetaschen, wie sie zum Verpacken der Produkte üblich sind. Aber weil er aus einer Familie von Papierherstellern kommt, haben die Taschen ein besseres Papier. Und weil der Mann ein geborener Verkäufer ist, hat er gute Argumente dazu.

Der Student ist Korbinian Kohler vom Tegernsee. Auch wenn er bei Chanel und Yves Saint Laurent keinen Erfolg hat, bestellen andere Boutiquen in Paris nach seinem Besuch ihre Tragetaschen bei ihm. So kann er neben seinem Aufbaustudium an der Sorbonne ein kleines Business rund um den Vertrieb von Papiertaschen aufbauen. Als er das Geschäft vier Jahre später verkauft und an den Tegernsee zurückkehrt, verdient Kohler damit jenes Startkapital, das ihn ein paar Jahrzehnte und Unternehmungen später zum heimlichen König des Tegernsees machen wird.

Viel hat zunächst nicht auf diese Karriere hingedeutet. Zwar gehört seinem Vater die Papierfabrik in Gmund, ein Nischenhersteller für feine Papierwaren, doch der junge Korbinian ist ein schlechter Schüler. „Faul und dusselig war ich, ein Spätentwickler“, sagt er heute. Ein Lehrer sagte ihm einst: „Solche wie dich muss es in der Fabrik auch geben, zum Hofkehren.“ Erst über die FOS findet Kohler seinen Weg zur Akademie.

Statt zu lernen, erkundet er lieber den Abenteuerspielplatz aus Papierfabrik und Mangfallufer. Sommer in den Siebzigern bedeuteten Schwarzfischen, selbstgezimmerte Flöße und Sprünge in Bottiche voller Papiermatsch. Der Vater, humorvoll und diszipliniert, hatte bei Mittagessen im Garten stets ein Telefon neben sich – alle Leitungen der Fabrik liefen während der Pause auf dieses eine Gerät. „Kunden darf man nicht warten lassen“, war sein Credo. Diese internationalen Kunden – aus Frankreich, England, Ägypten – brachten nicht nur Flair, sondern ermöglichten auch Kohlers frühe Auslandspraktika.

Heute sitzt Korbinian Kohler, groß, sportlich, mit schulterlangen Haaren, im Tagungsraum seines Hotels Bachmair Weissach. Draußen rollt der übliche Tegernseer Verkehr. Kohler hat dazu klare Ideen: höhere Parkgebühren, mehr Schifffahrt auf dem See – wie die Vaporetto-Boote in Venedig. Jeder Betrieb solle Qualität und Besonderheit bieten, so wie seine Hotels, Restaurants oder die Papierfabrik, die inzwischen sein Bruder führt.

Zehn Jahre hat Kohler mit seinem Bruder dort gearbeitet, bis er merkte, dass Florian das bessere Gespür für das Papiergeschäft hatte. Währenddessen wuchs Korbinians Leidenschaft für Immobilien: Erste Objekte in München, die er aufwändig herrichten ließ – eine Freude für ihn. „Tote Orte“ mit Leben zu füllen wurde seine Spezialität.

In den 2000ern war der Tegernsee in einer Art Dämmerzustand. Die goldenen Zeiten mit Künstlern wie Ludwig Thoma und Leo Slezak waren vorbei, der Jetset-Nachwuchs feierte lieber auf Ibiza, der See drohte zur Rentneridylle zu werden. Kohlers Chance: 2004 gründete er seine Firma KK Invest.

2010 führt er seine Frau Susanne in das heruntergekommene Hotel Bachmair aus. Plastikblumen, Colagläser – ein Jammer. Doch genau dieses Hotel war ihm kurz zuvor zum Kauf angeboten worden. Nach zögerlicher Begeisterung und einer zwölfstündigen Notarsitzung ist der Deal perfekt. Zuhause steht eine Rezeptionsklingel im Flur – eine Installation seiner Frau mit der Botschaft: „Wir schaffen das.“

Und Kohler macht den Bachmair. Erst manisch, dann strukturiert. Fehler? Klar: Umbau bei laufendem Betrieb. Doch mit klarer Vision. Keine Prunkpaläste, sondern gediegener, internationaler Stil. Japanisches Onsen, Familienfreundlichkeit, Kinderbetreuung und Indoor-Spielplatz inklusive. Vier Kinder hat er selbst, die Balance zwischen Familie und Unternehmertum ist nicht leicht.

Nach fünf schwierigen Jahren kommt die Wende. Das neue Publikum: wohlhabende Münchner, denen Stanglwirt zu plump und Elmau zu elitär ist. Es folgen weitere Projekte: ein Seegrundstück, ein Reiterhof, das Clubhaus mit israelischer Küche, das Wallberghaus auf dem Hausberg, das Alte Bad in Wildbad Kreuth. Kohler „verbachmairt“ Orte – mit Qualität, klarer Haltung und Preisen, die das widerspiegeln.

Doch nicht alle im Tal sind begeistert: Ein Mann, der den See für seine Gäste neu denkt – das polarisiert. Dennoch: Ohne Kohler wären viele Orte heute wohl vergessen. Und er sitzt im Gemeinderat von Gmund, ist also doch „einer von ihnen“.

Am meisten Aufsehen erregt sein Projekt in Bad Wiessee: Aus dem alten Kirchenwirt wird 2019 das „Hotel Bussi Baby“. Mit Neonzeichen, Rooftop, Infinitypool, DJ-Line-up – ein Tabubruch für manche. Doch das Konzept geht auf: Das Bussi Baby wird Hotspot für urbane Hedonisten, die im Mini-Cabrio vorfahren.

Dann das nächste große Ding: Die herzogliche Familie bietet ihm eine Erbpacht für Wildbad Kreuth an – ein Ort mit CSU-Geschichte. Mit Architekt Matteo Thun plant Kohler dort bis 2029 ein Medical Retreat, für Körper und Geist. Größenwahnsinn? Vielleicht. Aber der Tegernseer Unternehmer ist auch ein Grübler, einer, der sich nicht leicht tut. Er trainiert für Triathlons, studiert Philosophie, besonders Aristoteles fasziniert ihn. Mit Prof. Wilhelm Vossenkuhl, seinem Freund, holt er kluge Köpfe zu Vorträgen ins Hotel – kostenfrei, auch für die Einheimischen.

An einem Freitagabend ist der Festsaal voll. Kohler begrüßt im blauen Jackett. Der Soziologe Ruud Koopmans spricht kritisch zur Migrationspolitik. Danach wird diskutiert – auf hohem Niveau. Kohler moderiert mit Fingerspitzengefühl, findet nach der Bühne zurück zur Lockerheit.

Beim Galadinner sitzt eine illustre Runde zusammen: Unternehmer, Medienleute, Rüstungsexperten, Familie Kohler. Gastgeber Korbinian bekommt als Einziger einen Saibling, erzählt zum Abschluss eine Anekdote, die seine Art gut beschreibt: Er möchte im September unter dem Zwetschgenbaum sterben, die Enkelin bringt Datschi mit Sahne – und mit dem letzten Zungenschlag erwischt er noch einen Schlag davon.

 

Quelle:

https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/kohler-korbinian-tegernsee-bachmair-hotelerie-e260891/?reduced=true

Autor: Max Scharnigg

Fotocredit: Florian Peljak